Wer braucht 5G nach der Corona-Krise?

Es scheint mittlerweile einen breiten Konsens in der Gesellschaft bis hinein in die Politik zu geben, dass die Welt nach der Corona-Krise nicht wieder genauso weiterlaufen soll wie vorher. Alles, was nicht nachhaltig ist bzw. war, soll abgestoßen oder zumindest deutlich heruntergefahren werden. Ein wichtiger Bereich ist dabei die individuelle Mobilität: Insbesondere Geschäftsreisen mit Auto oder Flugzeug, aber auch private Schiffsreisen mit den Mega-Meeresverschmutzern sollten sicher nicht im gleichen Stile weitergehen. Doch wenn das wirklich alles weniger werden soll – wer braucht dann eigentlich noch einen flächendeckenden Ausbau von 5G?

von Stephan Bauer

Kulturwandel

In seinem Tagesvideo vom 07.05.2020 schildert Dirk Müller (1) dass er von vielen Geschäftspartnern höre, wie sich die Meeting-Kultur gerade sehr stark ändert. Sinngemäß sagt er, dass das Fliegen zu jeder möglichen Besprechung in aller Herren Länder immer stärker zugunsten von Video-Konferenzen unterlassen wird. Das ist aus Sicht der Nachhaltigkeit und des Naturschutzes eine sehr erfreuliche Entwicklung. Selbige Entwicklung wird auch für Inlands-Meetings voranschreiten, egal ob man dafür bisher einen Inlandsflug buchte oder sich stundenlang in den Zug oder ins Auto gesetzt hat.

Unterstellt man also, dass diese Entwicklung jetzt durch Corona einen Boost bekommt und in den nächsten Jahren kontinuierlich voranschreiten wird, dann stellt sich doch offensichtlich die Frage, ob damit nicht auch vieles vom technischen Fortschritts-Wahn aus der Zeit vor Corona hinfällig geworden ist.

In erster Linie betrifft dies meines Erachtens den Ausbau des Mobilfunknetzes auf den 5G-Standard. Stellen Sie sich vor, an allen Autobahnen und allen Zuglinien stehen alle 100 Meter 5G-Masten und keiner nutzt sie. Okay, zugegeben, das ist natürlich überspitzt dargestellt. Eine nicht geringe Grundlast wird im Verkehr natürlich immer erhalten bleiben. Das steht völlig außer Frage.

Aber muss es wirklich der 5G-Standard sein, der ja nicht zuletzt auch aus gesundheitlicher Sicht höchst umstritten ist? Mal ganz abgesehen von der völligen Zerstörung des Landschaftsbildes. Dagegen erscheinen die verhältnismäßig wenigen Windräder als Peanuts.

Insofern: Könnte man sich nicht darauf einigen, dass eine bessere 4G-Abdeckung auf Sicht der nächsten 5 – 10 Jahre jetzt erst mal ausreicht?

Wenn man unbedingt meint, könnte man in der Zeit 5G bezüglich der Gesundheitsrisiken nach dem Vorsorge-Prinzip ausgiebig untersuchen. Ich persönlich stelle 5G zwar prinzipiell in Frage (siehe die eben genannten Gründe, und es gibt definitiv noch einige mehr), aber wenn die Wirtschaft unbedingt versuchen will, hier Überzeugungsarbeit zu leisten und bereit ist, enorme Risiko-Summen zu investieren, dann bitte. Außerdem könnte man in 5 Jahren die generelle Entwicklung in der Welt nach Corona potentiell besser einschätzen und berücksichtigen.

Und was ist mit dem „Autonomen Fahren“?

Ich höre schon die Zwischenrufe aus der Wirtschaftslobby von wegen kritischer 5G-Anwendungen wie dem „Autonomen Fahren“. Vielen Dank für den Zwischenruf! Das „Autonome Fahren“ können wir gerne gleich mit begraben. Ich kann einfach nicht erkennen, was daran so dringend nötig wäre. Der Trick, der hier versucht wird, ist offensichtlich: Eine an sich unnötige Technologie (Autonomes Fahren) wird uns als unentbehrlich verkauft und dient gleichzeitig als Rechtfertigung für die Schaffung einer maximal-invasiven anderen Technologie (5G). Abgesehen davon sind auch beim Autonomen Fahren ethische Grundsatzdiskussionen noch gar nicht zu Ende geführt. Möglicherweise wird der ein oder andere kritische Punkt auch nie wirklich final geklärt werden können. Trotzdem lassen es unsere Politiker offensichtlich zu, dass in der Zwischenzeit schon Mal Fakten geschaffen werden, siehe die völlig verfrühte Versteigerung der 5G-Lizenzen. Das Motto lautet wohl: Wenn es erst Mal da ist, kann man es nur noch sehr viel schwerer wieder zurückdrehen.

Online-sein auf Reisen

Und ist dann doch eine Geschäftsreise nötig, will man natürlich gerne online sein. Das verstehe ich. Aber muss es wirklich die gleiche dicke Bandbreite sein wie im Büro? Sicher nicht. Und unsere Kids werden auch nicht sterben, wenn sie auf der Fahrt in den Süden nicht jederzeit alle möglichen Videos online streamen können. Sie hängen eh schon viel zu viel an den Medien.

Fazit

Politiker sprechen sich für ihre Entscheidungen gerne das „Augenmaß“ zu. In der Corona-Krise wird nun auch sehr häufig von der „Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen“ gesprochen. Lasst uns diese Ansprüche doch endlich auch auf den technologischen Fortschritts-Wahn anwenden. In welcher Zukunft wollen wir bzw. unsere Kinder und Enkel eigentlich leben?

Kleines Gedankenexperiment: Wofür würden sich unsere Nachkommen wohl entscheiden, wenn wir ihnen die Szenarien mit und ohne technischem Fortschrittswahn ehrlich aufzeigen würden? 😉

PS: Ich bin selbst Informatiker und liebe Technik. Aber trotzdem muss doch nicht alles, was machbar ist, auch auf Gedeih und Verderb realisiert werden! In der öffentlichen Diskussion wird der technische Fortschrittswahn leider verharmlost als „Digitalisierung“. Unter deren Deckmantel wird uns alles mögliche andere, das wir nicht haben wollen, mit verkauft. An erster Stelle sei hier „Künstliche Intelligenz“ genant – natürlich auch und insbesondere in Kriegswaffen. Aber das ist ein Thema für einen separaten Blog.

(1) zu Dirk Müller siehe http://www.cashkurs.com